von @sanczny, @sokalist_n und @yetzt

tl;dr Beziehungsformen mit ≥0 Partner*innen funktionieren einfach nicht. —Die Kulturelle Praxis
Kuscheln, küssen, Sex, und dass jemandem nicht völlig egal ist, wenn man nicht da ist. Die Erkenntnis, das von einer einzigen Person zu wollen, ist vielleicht nicht der gelungenste Einstieg in einen Text über heteronormkritische Beziehungskonzepte.
Wer fühlt was für wen? Wer kann das aussprechen, ausleben, und wie? Wer impliziert ins Leere oder sagt gar nichts? Wer kann Aufmerksamkeit einfordern? Wer ist nicht in der Position dazu? Wer schmerzt vor sich hin? Wer kriegt Unterstützung und wer nicht? Wer findet eine_n, zwei, x Partner_in/nen und wer ist zu „kompliziert“. Wer kann im Weg stehen und knutschen? Wem stehen knutschende Pärchen im Weg? Wer fühlt sich angegriffen, wenn das kritisiert wird und warum? Wer kriegt die schlechten Witze ab, die Buh-Rufe, Beschimpfungen, oder Hinweise auf „Issues“? Was hat das alles mit Politik zu tun? Was mit Klasse und anderen Situiertheiten? Was damit, ob man Mann, Frau oder Variation ist und ob und wen man begehrt oder nicht?
Ich habe unter keiner drei – beziehungsweise machtwirklichkeit in groben Zügen aufgeschrieben, worum es geht. In die Lücken gehören x-tausend Seiten Theorie. Viele haben nicht die Zeit, das alles zu lesen, andere nehmen sie sich nicht, und machen stattdessen Witze über Probleme, die nicht ihre eigenen sind.
Was sind das für Probleme?
Das hat @plastikstuhl in der folgenden Zeichnung (via Blog Gendercamp: Heteroperformance in der Öffentlichkeit: Solidarität, RZB und Raumeinnahmen) zusammengefasst:
[cc by plastikstuhl]
Hetero- und Paarnormativität reglementieren hin zu Hetero- und Paarbeziehungen und privilegieren diese. Wer die Anforderungen nicht erfüllt, befindet sich außerhalb der Norm und schaut dann wie im obigen Bild etwas unglücklich in die Gesellschaft.
In Beziehungen, auf Beziehungen und aus Beziehungen heraus herrschen Machtverhältnisse. Machtverhältnisse, die man zu einem guten Teil nicht wahrhaben will, wenn man jemanden liebt. Been there, done that. Viele mögen nicht, wenn man in ihrem „Wichtig ist doch nur, dass man sich liebt“-Narrativ die politische Dimension aufzeigt. Liebesbeziehung als Rückzugsort von der Gesamtscheiße kritisch zu beleuchten, passt den meisten nicht ins Konzept. Dass nicht kritisch beleuchtet wird, gehört zum Konzept der Romantischen Zweierbeziehung (RZB) als systemtragender Scheiße™. Politik aus dem Privaten heraushalten zu wollen, macht das Private nicht weniger politisch. Man guckt halt nur nicht hin.
Diese Machtverhältnisse müssen bewusst gemacht und reflektiert werden. Reflektiert – ja, das nervt – was man selbst beiträgt. Wie man dominiert und dominiert wird, sich dominieren lässt. Und ob das alles sich so richtig anfühlt und wenn ja, warum.
Die Herausforderung der romantischen Zweierbeziehung muss am Punkt Romantik anfangen und nicht (erst) bei „Hetero-“ oder „Zweier-„. Romantik als Liebeskonstrukt muss in Frage gestellt werden.
Was ist gemeint mit Romantik als Liebeskonstrukt?
Romantik ist in diesem Zusammenhang nicht der Teil mit der Zuneigung in einer Liebesbeziehung, sondern der kulturelle Code der romantischen Liebe.
Diskursives Wissen ist Produkt von Artikulation durch Sprache. Der kulturelle Code ist die Vorstellung vom Inhalt einer Botschaft. Kodierung und Dekodierung von Botschaften erfolgen mit bestimmtem Vorwissen, Bias, Ideologie. Der Grad des Verständnisses hängt vom Grad der Symmetrie/Asymmetrie zwischen Sender/Kodierendem und Empfänger/Dekodierendem ab. Das Empfangen einer Nachricht ist kein passiver Vorgang, ihre Bedeutung nie völlig vom Sender determiniert (Stuart Hall).
Pulli bedeutet „hält warm“. Romantische Liebe bedeutet nach dominant hegemonialem Verständnis Zuneigung, Zärtlichkeit, Sex, Verbindlichkeit, Loyalität, Zweisamkeit, Treue, Wollen, Schwärmen, Hingabe, Schmetterlinge, … you get the idea.
Die romantische Zweierbeziehung ist gerade mal 300 Jahre alt, dennoch ist ihr kultureller Code so weit naturalisiert, dass sie nicht mehr als konstruiert sondern völlig natürlich, vorbestimmt und unverrückbar, normal erscheint.
Liebe („nur“ Liebe) hatte ursprünglich eine etwas andere Bedeutung, u.a. daran erkennbar, was wir noch heute unter engl. „make love“ („Liebe machen“) verstehen [geguttenbergt aus Karl Lenz: Soziologie der Zweierbeziehung].
Die romantische Liebe ist gekennzeichnet durch:
- Die Einheit von Liebe und Sex
- Die Einheit von Liebe und Ehe
- Die Einheit von Ehe und Elternschaft
- Den Ewigkeitsanspruch an die Liebe: Ewige Treue
- Den Individualitätsanspruch: Die romantische Liebe ist auf ein einzigartiges Individuum ausgerichtet. Man liebt nicht Frauen_Männer, sondern eine bestimmte Person. Dieser Individualitätsanspruch stellt die Treue sicher und macht Eifersucht explizit überflüssig. Die geliebte Person ist einzigartig, daher konkurrenzlos.
- Die Wertschätzung des Individuums (s.o.): Die romantische Liebe die einzige Form von Liebe die Menschen in ihrer Einzigartigkeit anerkennt.
- Erst erwiderte Liebe ist richtige Liebe. Hier wird mit der früheren Hierarchie der Geschlechter gebrochen: Frau wird erstmals zu einem autonomen Gefühlssubjekt. Ihre Gefühle sind wichtig. Und sie hat das Recht, Nein zu sagen.
So richtig durchgesetzt hat sich das Ideal der romantischen Liebe und der Liebesheirat erst im 20. Jahrhundert. Zuvor waren Ehen eher von ökonomischem Pragmatismus geprägt. Liebe war keine Voraussetzung für die Ehe. Und Liebe meinte, siehe oben, etwas anderes. Die unbezahlte (meist) weibliche Reproduktionsarbeit in der RZB passt wie zufällig perfekt in die kapitalistische Verwertungslogik. Und wie schon Simone de Beauvoir erklärte, macht der Gedanke, aus Liebe Töpfe zu schrubben, die Sache irgendwie angenehmer. Der Erfolg der Romantischen Zweierbeziehung und dass sie vom – zunächst bürgerlichen – Ideal zur Norm wurde, ist also kein Zufall. Obwohl bürgerliche Gesellschaft und Kapitalismus nicht immer komplett zusammenfallen, wirken sie sehr eng verzahnt zusammen.
So schön das Ideal der RZB auf den ersten Blick erscheint, und so emanzipativ sie gemeint war, so unrealistisch ist sie: Statt ewiger Treue gibt’s Fremdgehen, offene Beziehung und Inanspruchnahme von Sexarbeit als feste, tabuisierte, unvereinbarte aber faktisch immanente, Bestandteile von RZBs, die anders nicht halten würden. Weil man eben doch nicht die eine oder nur die eine Person liebt, die Person den Ansprüchen nicht genügt, oder oder oder. Leute haben Sex miteinander, um Streit zu vermeiden, einen verbindet ja sonst so viel.
Unromantisch, nicht aromantisch
Laut Duden bedeutet romantisch „gefühlsbetont, schwärmerisch; die Wirklichkeit idealisierend“ und unromantisch „nicht romantisch; nüchtern“.
Unter dem einen unromantisch verstehen wir hier, keine Freund_innen der Romantik zu sein – nach dem Romantikbegriff, wie er zunächst gemeint war. In der Bedeutung des R in RZB. Etwas anderes ist aromantisch. Das ist das Zuneigungsäquivalent zu asexuell.
Angenommen – wirklich nur angenommen, weil rückwärts aus der Norm hergeleitet – Verliebtsein/Liebe und sexuelles Begehren wären zwei Komponenten einer Liebesbeziehung, ist bei Aromantischen der Verliebtsein/Liebe-Teil nicht vorhanden und bei Asexuellen der Sex.
Großes Aber: Diese „Abwesenheit von“ ist nur laut Norm ein Fehlen. Die Norm interessiert uns aber außer zu „Forschungszwecken“ hier nicht. Soll heißen: „Abwesenheit von“ Liebe bzw. Sex erkennen wir nicht als Mangel an, sondern sehen das als Variationen von Hirn-, Herz-, Genitalbeteiligung. Was wir hier ungern aber lapidar „fehlen“ nennen, ist nur im Rahmen dieses idealisierten hochromantisierten Beziehungskonzeptes der romantischen Zweierbeziehung ein Fehlen. Es gibt Begehrensformen ohne Liebe und Zuneigungsformen ohne Sex, und das alles auch in Partnerschaften. Und das alles entspricht nicht der Norm, darum geht es hier.
Romantik zu hinterfragen oder abzulehnen meint also nicht dasselbe wie aromantisch zu sein.
Das andere unromantisch
Was wir auch nicht meinen, wenn wir sagen, wir mögen Romantik nicht, ist, dass wir nicht gerne Serien schauend in die Kuscheldecke pupsen, im Regen küssen, und an Bahnsteigen stehen und heulen. Okay, letzteres mögen wir wirklich nicht. Aber das ist trotzdem romantisch. Das andere romantisch.
Wie geht jetzt diese Normkritik?
Wissen wir auch nicht so genau. Das sollte jede*r für sich herausfinden; am besten im gemeinsamen lernen.
Beziehung ja oder auch nein, aber nicht unbedingt RZB, und wenn überhaupt dann trotzdem. Kritisch, und zwar zuallererst bei uns selbst. Im Privaten, welches ja bekanntlich politisch ist. Nicht einfach vermeiden, öffentlich Beziehung zu performen, und wenn keiner guckt die heterosexuellste Person im Universum sein. Nicht einfach so tun, als hätte man keine Beziehung. Nicht dauernd allen die Zweisamkeit ins Gesicht performen. Es ist wirklich nicht nötig, Purzelchen elf Mal am Tag als taken zu markieren.
Zweisamkeit, das Zusammenwirken Zweier, ist als normatives Narrativ positiv konnotiert, im Gegensatz zur Einsamkeit, die sich im Gefüge der romantischen Norm nicht vom Vorhandensein einer, sondern durch die Abwesenheit einer zweiten Person definiert. Alleinstehende Menschen werden dadurch defizit_isiert, dass sie nicht der Zweierbeziehungsnorm entsprechen, auch durch die Performance von Schnucki und Purzelchen.
Auch mal lesen, was Simone de Beauvoir vor über sechzig Jahren geschrieben hat. Und merken, warum „Ficken statt Herrschaft“ ein Widerspruch in sich sein könnte. Nicht jedes Mal das Rad neu erfinden wollen, erst mal gucken, wie weit andere schon waren. Lesen, was Butler uns über die heterosexuelle Hegemonie beizubringen hat und Bourdieu über die Reproduktion der männlichen Herrschaft. Eingestehen, dass man da mitmacht, Krone richten, besser machen. Merken, dass bei „we cannot fuck our way to freedom“ der naheliegende Umkehrschluss das Gegenteil von richtig ist. Sich klarmachen, wer spricht und wer gehört wird.
Romantik als normatives Ideal ist ein Aspekt herrschaftsförmiger Wirkung von Beziehungen. Diese Norm gilt es auch in eigenen Beziehungen zu hinterfragen und ihre Wirkmächtigkeit mit dem eigenen Handeln zu durchbrechen. Gerade wenn die eigenen Beziehungsvorstellungen dem normativen Idealbild der Romantik entsprechen, ist ein Bewusstsein für die Diversität von Beziehungsentwürfen sowie die Dominanz der eigenen Vorstellung von Beziehung und ein antinormativer Umgang damit unabdingbar.
Es geht um mehr, als nur eine ‚Spaltpilzlösung‘, mit ein paar (no puns intended) Gleichgesinnten „andere“ Beziehungsformen zu entwickeln; dies geschieht ständig und das ist auch gut so. Auch geht es nicht (’nur‘) darum, daß diese Beziehungsformen keinesfalls das ‚andere‘ (Geanderte) der Hetero-Sexuellen-RZB sein sollten. Nicht einmal darum, daß (dauerhaft) kein Sex aus der Zone der Unbewohnbarkeit geholt werden und als Option denkbar werden sollte (aktuelles Beispiel). Es geht darum, daß eine Beziehungsform zur (häufig impliziten) Norm gesetzt wird und sie damit sowohl Druck-, als auch Sogwirkung entfaltet, diesem Standardentwurf möglichst nahe zu kommen. Dies läßt sich nicht durch ein paar Erweiterungen dieser Norm beheben.
Gleichwohl auch wir – ebensowenig wie tote Franzosen und lebende US-Amerikanerinnen – keine fertigen Entwürfe anbieten können oder sollten: Wir brauchen ein neues Verständnis von Sexualität und wir brauchen einen anderen Möglichkeitsraum zur Gestaltung unserer Beziehungsweisen, als uns die gegenwärtigen ‚Defaults‘ nahelegen.
Deshalb: Romantik verbieten!
